Norbert Lingen

Autor

Was macht eigentlich der Osterhase?


Vor langer, langer Zeit, als die Uhren noch rückwärts gingen, arbeiteten und wohnten viele Menschen auf Bauernhöfen. Dort lebten nicht nur ErdenbürgerInnen, sondern eine Menge anderer Lebewesen. Die Bauern versorgten täglich ihre Hoftiere. Da wollten die Schweine fressen, die Kühe gemolken werden, die Kaninchen im Stall etwas trinken, die Hühner jeden Morgen auf die Wiese zum Scharren und der Hund, die Katze, das Pferd, die Schafe und so weiter.

Ein jedes dieser Tiere hatte seine Aufgabe. So lieferten Schweine und Kaninchen Fleisch, die Kühe die Milch, Schafe die Wolle, der Hunde hielt Wache, die Katzen fingen Mäuse und die Hühner?
Ja, die Hühner legten Eier. Sie legten fast jeden Tag ein Ei und sonntags auch mal zwei. Und damit fängt die Geschichte an. Denn in jedem Jahr, wenn Ostern kam, gab es für die Hühner einiges zu tun. Sie mussten nicht nur die Eier produzieren, nein sie hatten auch dafür zu sorgen, dass ausreichend Eier da waren, dass sie bunt waren, und vor allem, dass die Ostereier zu den Kindern kamen. Das war echter Stress für die Hühner.

Deshalb freuten sich die Hühner gar nicht auf Ostern, denn das war für sie das Fest der großen Arbeit. Das schwierigste für die Hühner war, die Kinder mit Ostereiern versorgen zu müssen, sogar diejenigen Kinder, die nicht auf dem Bauernhof, sondern in der Stadt wohnten. Das war für die Hennen schwierig, weißt du auch warum? Hühner sind zwar Vögel, aber sie fliegen nicht. Laufen können sie auch nicht besonders schnell. Stelle dir ein Haushuhn mit einem großen Korb auf dem Rücken vor, das Eier in die nächste Stadt trägt. Das war harte Arbeit und das Federvieh kam immerfort so erschöpft nach Hause, dass es tagelang kein Ei mehr legte. Nun ja, das taten die Hühner immer schon so.

Der Bauer hatte von alledem keine Ahnung, denn der glaubte ja an den Osterhasen, der die Ostereier zu den Kindern bringt. Er hätte niemals seine Hennen mit den Ostereiern in Verbindung gebracht. Er wunderte sich nur, dass es nach Ostern immer so wenig Eier von seinen Hühnern gab.
Das dauerte schon hunderte oder sogar tausende von Jahren. Bis die Zeit kam, als die Uhren sich entschlossen, vorwärts zu gehen. Da hatte eine mutige und vor allem schlaue Revoluzzerhenne eine Idee:
„Warum sollen wir eigentlich immer den Eiertransport in die Stadt machen, wenn alle Welt glaubt, der Osterhase mache das?“

Sie organisierte eine Demo im Hühnerstall. Sie saß ganz oben auf der Hühnerleiter und rief :

„Liebe Hühnergenossen und -genossinnen. Warum sollen wir immer die Arbeit machen und der Osterhase streicht die Lorbeeren ein? Es reicht, wenn wir die Eier produzieren und bunt machen. Der Osterhase muss ab jetzt die Eier transportieren. Er ist sowieso viel größer und vor allem schneller als wir“.

Die letzten Worte der Revoluzzerhenne gingen im Gejubel des gesamten Hühnerstalls unter. Es setzte sich ein Demonstrationszug in Bewegung, der sich zum Nest des Osterhasen im nahegelegenen Kornfeld bewegte. Der Bauer merkte wieder nichts davon. Der Osterhase war einigermaßen überrascht, die Menge der aufgebrachten Hühner auf sein Nest zumarschieren zu sehen.

Die Revoluzzerhenne fragte laut: „Bist du der Osterhase?“

Der Osterhase antwortete: „Ja, der bin ich“.

„Weißt du auch, warum du der Osterhase bist?“

„Naja, das war ich doch immer schon.“

„Weißt du denn, was ein Osterhase auf Ostern macht?“

„Ja, natürlich, faulenzen und den Dank aller Kinder entgegennehmen.“

„Für was bedanken sich die Kinder denn bei dir?“

„Das weiß ich nicht“, sagte der Osterhase, „aber ich bin schließlich der Osterhase, das reicht doch aus, oder?“

„Weißt du denn nicht, dass wir Hühner seit tausend Jahren Eier legen, Eier färben und Eier zu den Kindern bringen“, fragte die Henne, „und dass wir Hühner überhaupt keinen Spaß an Ostern haben?“

Das hatte der Osterhase nicht gewusst und er bekam ein schlechtes Gewissen. Die Osterhasen hatten über Generationen den Dank der Kinder entgegengenommen, ohne zu ahnen, dass die Hühner die ganze Arbeit machten.

Da der Osterhase aber im Grunde ein gutes Wesen war, machte er den aufgebrachten Hennen einen Vorschlag: „Wie wäre es, wenn wir Osterhasen ab jetzt den Transport der Eier übernehmen. Wir bringen ab jetzt die Ostereier zu den Kindern.“

Und so kam es, dass die Geschichte von dem Osterhasen tatsächlich wahr wurde und die Kinder nun mit Recht an den Osterhasen glauben. Das alles geschah vor hunderten von Jahren und seitdem freuten auch die Hühner sich auf das Osterfest. Nur der Bauer wunderte sich, weil er jetzt auch nach Ostern viele Eier bekam. Er wusste nicht, dass er das alles einer mutigen Revoluzzerhenne verdankte. Und der Osterhase erkannte nun endlich, warum sich die Kinder bei ihm bedankten.

Ich wünsche ein frohes Osterfest


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